In Apostelgeschichte 16,1 treffen wir Paulus auf seinen Reisen nordwestlich von Jerusalem in der heutigen Türkei an. Während er dort unterwegs war, traf er sich mit einem vielversprechenden Jünger, den wir als Timotheus kennen. Timotheus hatte einen guten Ruf unter den Geschwistern dieser Gegend – vor allem in den Städten von Lystra und Ikonion. Auch Paulus war von ihm beeindruckt, und er lud Timotheus ein, ihn auf seinen Reisen durch die Region zu begleiten. Doch bevor sie ihre gemeinsame Reise begannen, wurde Timotheus von Paulus beschnitten (Apostelgeschichte 16,3). Obwohl dies kein bedeutendes Detail zu sein scheint, ist es wichtig, dieses Ereignis im Kontext zu untersuchen, da die Folgerungen hieraus durchaus von Bedeutung sind.
Lesen wir Apostelgeschichte 16,1-3 im Zusammenhang:
„Er kam auch nach Derbe und Lystra; und siehe, dort war ein Jünger mit Namen Timotheus, der Sohn einer jüdischen Frau, die gläubig war, und eines griechischen Vaters. Der hatte einen guten Ruf bei den Brüdern in Lystra und Ikonion. Diesen wollte Paulus mit sich ziehen lassen, und er nahm ihn und beschnitt ihn wegen der Juden, die in jener Gegend waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche war.“
Was dies zu einem bemerkenswerten Ereignis macht, ist die Tatsache, dass die Beschneidung zu jener Zeit Gegenstand ernsthafter Debatten war. Einige bekehrte Juden, insbesondere die Pharisäer, die sich streng an die Traditionen ihrer Vorfahren hielten, hatten zuvor darauf bestanden, dass die Beschneidung ein notwendiges Ritual sei, dass durchgeführt werden müsste, um ein Mitglied der Kirche werden zu können (Apostelgeschichte 15,5). Offensichtlich verstanden die Personen, die auf diesem Ritual beharrten, noch nicht genau die Erlösung, die den Heiden und allen Menschen durch das Opfer Christi ermöglicht worden war. Tatsächlich waren viele unbekehrte Juden über die Notwendigkeit der Beschneidung dermaßen aufgebracht, dass sie später sogar versuchten, Paulus zu töten, da dieser, wie sie meinten, unbeschnittene Griechen in den Tempel geführt hätte (Apostelgeschichte 21,28-31).
Paulus war sich der realen Konflikte hinsichtlich dieser Thematik äußerst bewusst. Die Beschneidung war, sogar innerhalb der Kirche, ein solch polarisierendes Thema, dass „die Apostel und die Ältesten zusammen [gekommen waren], über diese Sache zu beraten“ (Apostelgeschichte 15,6).
Diese Predigerkonferenz wurde hauptsächlich abgehalten, um die Gründe zu klären, warum die Beschneidung nicht für die Erlangung des Heils notwendig ist. Es war Petrus, der ebenfalls an dieser Versammlung teilnahm und dabei half, die Wahrheit über diese Thematik zu verdeutlichen:
„Als man sich aber lange gestritten hatte, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisst, dass Gott vor langer Zeit unter euch bestimmt hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten. Und Gott, der die Herzen kennt, hat es bezeugt und ihnen den Heiligen Geist gegeben wie auch uns, und er hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen, nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben. Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Väter noch wir haben tragen können? Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus selig zu werden, ebenso wie auch sie“ (Apostelgeschichte 15,7-11).
Neben weiteren Entscheidungen, die bei dieser Versammlung getroffen wurden, wurde die Tatsache fest etabliert und dokumentiert, dass die Beschneidung nicht für die Erlösung notwendig ist.
Warum wurde Timotheus dennoch von Paulus beschnitten, wenn doch die von ihm verkündete klare Lehre besagt, dass „in Christus Jesus […] weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas [gilt], sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ (Galater 5,6)? Paulus wusste und glaubte fest daran, dass die Beschneidung nicht zur Erlangung des Heils erforderlich war – tatsächlich lehrte er mit Nachdruck, dass es falsch wäre, sich beschneiden zu lassen, wenn dies aus der Idee heraus geschehen würde, sie wäre zur Erlösung notwendig. Den Grund für die Beschneidung des Timotheus finden wir in der Erklärung, dass es „wegen der Juden [geschah], die in jener Gegend waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche war.“
Die Nelson Study Bible erklärt:
„Es ging hierbei nicht um die Frage der Erlösung. Stattdessen wurde Timotheus beschnitten, damit Gott ihn gebrauchen konnte, um alle Menschen – auch die Juden – mit der Botschaft des Evangeliums zu erreichen.“
Der New Bible Commentary führt aus:
„Paulus beschnitt ihn, so dass er für die Arbeit des Evangeliums von größerem Nutzen sein konnte… Er kämpfte gegen jegliche Andeutung, dass Christen beschnitten werden müssten, um ihr Heil vollends zu erlangen; aber die Beschneidung an sich, wenn vollzogen, war vom religiösen Standpunkt her unbedeutend [1.Korinther 7,19; Galater 5,6; Galater 6,15]. Timotheus wurde von seiner jüdischen Mutter und der Großmutter in jeder Hinsicht zu einem religiösen Juden erzogen, mit Ausnahme der Beschneidung. Überdies galt er, da seine Mutter jüdisch war, in den Augen der Juden selbst als ein Jude…“
Timotheus wurde beschnitten, weil Paulus ihn effektiv für die Verkündigung des Evangeliums gebrauchen wollte. Obwohl nicht notwendig zur Erlangung des Heils, so war doch die Durchführung der Beschneidung an sich keineswegs falsch.
Wie zuvor bereits erwähnt, wusste Paulus nur allzu gut, dass die Juden, mit denen er in Kontakt kam, Schwierigkeiten mit der Lehre hatten, dass die Beschneidung nicht erforderlich ist. Da Timotheus selbst ein Jude war und da Paulus wollte, dass er dabei half, den Juden das Evangelium zu verkünden, war es diesbezüglich von Vorteil, dass er Timotheus beschnitt. Paulus wusste, dass ihm die Juden dann mehr Respekt entgegenbringen und ihn leichter akzeptieren würden. Paulus handelte weise, um die Kirche aufzubauen und mehr Menschen zum Heil zu führen, ohne dabei Kompromisse mit den Gesetzen Gottes einzugehen. In 1.Korinther 9,20 lesen wir über seine Vorgehensweise:
„…Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne.“
Paulus traf die Entscheidung, sich jenen anzupassen, mit denen er in Kontakt kam, ohne Kompromisse mit der Wahrheit zu schließen, um ihnen dabei zu helfen, die Erlösung zu erlangen. Indem er Timotheus beschnitt, wurde dieser als ein Jude akzeptiert, und damit konnten unnötige Diskussionen vermieden werden.
Obwohl die Beschneidung keineswegs zur Erlangung des Heils notwendig war, wollte Paulus nicht, dass Timotheus für die Juden zu einem Stein des Anstoßes würde. Paulus mahnte in 1.Korinther 8,9: „Seht aber zu, dass diese eure Freiheit für die Schwachen nicht zum Anstoß wird!“
In dieser Hinsicht war Timotheus erfolgreich. Das Ergebnis war, dass „die Gemeinden im Glauben gefestigt [wurden] und… täglich… an Zahl [zunahmen]“ (Apostelgeschichte 16,5).
Während es in dieser Situation nützlich war, sich den Gepflogenheiten der Gemeinschaft anzupassen, war jedoch blinde Zustimmung zum unvollständigen Verständnis anderer, um des Friedens willen, keineswegs das, was Paulus zu tun bestrebt war. Tatsächlich sprach er sich sehr stark gegen jene aus, die sich auf Kosten der Wahrheit den menschlichen Traditionen anpassten.
Paulus hatte eine heftige Auseinandersetzung mit Petrus, als dieser einmal mit der Wahrheit Kompromisse einging, um die bekehrten Juden nicht zu verärgern. Petrus hatte seine alte falsche Gewohnheit nicht vollends überwunden, sich von gemeinsamen Mahlzeiten mit den Heiden fernzuhalten, wenn Juden hinzukamen (vergleichen Sie hierzu Galater 2,11-12). Eines der Probleme mit diesem Verhalten war, dass es den bekehrten Heiden einen falschen Eindruck vermittelte, da es ihnen suggerierte, dass sie den bekehrten Juden unterlegen seien und von ihnen abgelehnt würden.
Paulus war verärgert über Petrus und andere Bekehrte, die „…nicht richtig handelten nach der Wahrheit des Evangeliums…“ (Galater 2,14). Petrus vermittelte damit die falsche Lehre einer weiterhin bestehenden Trennung zwischen Juden und Heiden. Der Glaube des Paulus daran, dass die Wahrheit nicht verdreht werden darf, war sehr stark ausgeprägt. In dem Bemühen, andere nicht zu verletzen, darf die Wahrheit des Evangeliums keineswegs kompromittiert werden.
Die Beschneidung von Timotheus wurde durchgeführt, um unnötige Konflikte zu vermeiden. Gleichzeitig aber hat sie keinerlei Konflikte oder Verwirrung verursacht. Timotheus war ein Jude; von daher war es für ihn nicht unangemessen, sich beschneiden zu lassen. Paulus und Timotheus verstanden, dass der Akt der physischen Beschneidung nichts mit irgendeiner geistlichen Anforderung für die Erlösung zu tun hatte. In einer ähnlichen Situation, als Paulus gemeinsam mit Titus, einem Griechen, nach Jerusalem ging, beschnitt er diesen nicht, denn dies hätte einen falschen Eindruck erweckt – nämlich den, dass Heiden beschnitten werden müssten, um das Heil zu erlangen (Galater 2,3-5). Entscheidend ist zu wissen, wann die Wahrheit kompromittiert werden würde.
Dieses Prinzip können wir in praktischer Weise auf unser heutiges Leben anwenden, indem wir bereit sind, weitere Opfer in unserem Leben zu bringen, die uns helfen, mit den Menschen in unserer Umgebung ein gutes Verhältnis zu schaffen. Wenn eine Handlung mit den Gesetzen Gottes in Einklang steht und diese nicht verletzt, so ist nichts daran verkehrt und sogar hilfreich, uns anderen gegenüber, die die Wahrheit Gottes lernen wollen, in einem respektablen Licht zu präsentieren, ohne einen falschen Eindruck zu vermitteln. Tatsächlich ist ein Verhalten, das nicht in Konflikt mit Gottes Gesetzen steht und anderen dabei hilft, das Heil zu erlangen, angemessen und gut.
Verfasser: Eric Rank